Salutogenes
Modekrankheiten
Mai 14th, 2012
posted by Hanswerner Herber
Jede Zeit hat ihre Moden. Wieso auch nicht! Hat doch schon das Verbum in einem simplen Satz sein Tempus und seinen Modus. Stefan malt ein Bild, Stefan malte ein Bild, Stefan könnte ein Bild malen. Stefan ist Stefan und dennoch tritt er nicht nur durch das Objekt (Bild), sondern auch im zeitlichen Kontext und in der Art Weise seines Handelns unterscheidbar in Erscheinung.
„Moden“ in der Medizin treten ebenfalls abhängig vom Zeitgeist, gesellschaftlichem Wandel und Fortschritten in der Wissenschaft in Erscheinung. So gab es die Hysterie und den Wahnsinn, das Panik- und das Müdigkeits-Syndrom, Managerkrankheit und Vegetative Dystonie.
Besonders „in“ sind im Moment Traumatisierungen mit Missbrauchshintergrund, Borderline- und Essstörungen, AD(H)S, Burnout und ja, es ist im Kommen Boreout. Wir langweilen uns zu Tode.
- „Gesundheit ist überhaupt nicht nur ein medizinischer, sondern überwiegend ein gesellschaftlicher Begriff“, so der Philosoph Ernst Bloch.
- „Health is a state of complete physical, mental and social well-being and not merely the absence of disease or infirmity.“, so die Weltgesundheitsbehörde (WHO).
- „Gesundheit ist ein Zustand optimaler Leistungsfähigkeit eines Individuums, für die wirksame Erfüllung der Rollen und Aufgaben für die es sozialisiert worden ist“, so der Soziologe Talcott Parsons.
- Gesundheit und Krankheit ergänzen sich, sie bilden ein Kontinuum. Die Positionierung auf dem Kontinuum wird primär durch das Vorhandensein bzw. das Fehlen von physischen und psychischen Krankheiten bestimmt. Wenn sich durch die Verminderung von Risikofaktoren und die Förderung von Schutzfaktoren das Wohlbefinden des Individuums verbessert, kann sich seine Positionierung auf dem Kontinuum in Richtung Gesundheit verschieben, so der salutogenetische Ansatz von Aaron Antonovsky.
Nochmal zurück zu Ernst Bloch: „Und Gesundheit wiederherzustellen, heiße in Wahrheit: den Kranken zu jener Art von Gesundheit bringen, die in der jeweiligen Gesellschaft die jeweils anerkannte ist….Gesundheit ist in der kapitalistischen Gesellschaft Erwerbsfähigkeit; unter den Griechen war sie Genussfähigkeit, im Mittelalter Glaubensfähigkeit.“
„Wir stehen nicht vor einem Übel der üblichen Art, sondern vor der Verderbnis des Besten, die dann eintritt, wenn die Frohe Botschaft institutionalisiert wird und die Liebe verkehrt wird in den Anspruch auf Dienstleistungen“. Über diese “Medikalisierung des Lebens“ schrieb Ivan Illich 1975 in seinem Buch „Die Nemesis der Medizin“.
Die Gefahr, dass Krankheiten nicht erkannt würden und Patienten daher auch keine rechtzeitige Hilfe erhielten, führt zu einer defensiven Medizin mit übersteuerter und überteuerter Diagnostik und überflüssiger Therapie. Die entsprechenden Industrien freuen sich. Natürlich besteht auch die Gefahr durch falsch-positive Befunde aus Gesunden Kranke zu machen. Meist hilft hier die Frage: Würde ich die vorgeschlagene Diagnostik/Therapie auch den mir Liebsten zukommen lassen? Mag ja sein, dass intuitives Vorgehen als unwissenschaftlich gebrandmarkt wird, aber meist ist das Bauchgefühl sogar schneller und sicherer, fußt es doch auf dem Boden impliziten Vorwissens, heuristischer Regeln und evolvierter Fähigkeiten, wie Gerd Gigerenzer es so treffend auf den 62. Psychotherapiewochen (2012) in Lindau ausgedrückt hat.
Als junger Arzt bin ich mit Verve und Leidenschaft in die Falle des „Problemlösers“ getappt. Zu verführerisch war es für das EGO des Heilers, den enormen Erwartungen des Patienten nachzugeben und ihn mitunter willfährig aus dem Zauberkasten des Medizinbetriebs zu bedienen. Von der angebots-induzierten Nachfrage, getriggert von den Wissen produzierenden Universitäten, der Medizintechnik und der Pharmaindustrie, will ich gar nicht reden.
Dr. med. Asklepios H. – Projektionsgestalt einer gewaltigen Heilssehnsucht mit schon quasireligiösem Anstrich. Natürlich habe ich schnell erfahren müssen, dass ich diese Erwartungen letztendlich nur enttäuschen konnte. Noch später habe ich begriffen, dass die Rolle des Problemlösers gar übergriffig ist.
Wie ich der Falle entkommen bin?
Ich kümmere mich nicht mehr um Krankheiten. Sie entfremden mir mein Gegenüber. Heute bin ich wieder da, wo ich als Famulus einst stand. Ich sehe nicht mehr die Krankheit, sondern den kranken Menschen.
Und aus der Sicht ist es mir völlig wurscht, ob es Modekrankheiten gibt oder nicht.
Hanswerner Herber